Wieso hamstern Dänen ausgerechnet Hefe?
Artikel vom 02.05.1998, Berliner Morgenpost

Anzeichen für ein Ende des Streiks - Deutliche Worte eines Gewerkschafters

Von Ingrid Raagaard und Fred Staprud


BM Kopenhagen - In Dänemark mehren sich die Anzeichen dafür, daß der größte Streik seit 13 Jahren in Kürze abgeblasen wird und sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf einen Kompromiß verständigen. Dafür spricht auch, daß der Chef des Gewerkschaftsdachverbandes, Hans Jensen, gestern ausgerechnet bei der großen Maiveranstaltung in Ballerup bei Kopenhagen ganz ungewöhnlich deutliche Worte fand: Es sei unrealistisch und unklug anzunehmen, daß die Forderung nach sechs statt bisher fünf Wochen bezahlten Urlaub bereits jetzt in vollem Umfang durchgesetzt werden könne. "Das wäre nicht weise, und zudem schadete es der Beschäftigung", betonte Jensen. Er machte zugleich aber klar, daß der Arbeitskampf nur beendet werde, wenn eine Verlängerung des Urlaubs erreicht werde.

Trotz des Streiks und der mit ihm einhergehenden Hamsterhysterie ist die Versorgung keineswegs zusammengebrochen. Obwohl die Fleischereien seit Anfang der Woche geschlossen sind und alle Berufskraftfahrer ihre Lieferungen eingestellt haben, waren gestern die Kühltische in den meisten Supermärkten wieder voll. Die Preise vor allem für Gemüse und Salat sind zwar deutlich gestiegen, aber wer Tomaten und Gurken kaufen will, bekommt sie auch. Nur Zigaretten, Getränke, Toilettenartikel, Zeitungen und Zeitschriften sind kaum noch erhältlich.

Absurde Ausmaße hat dabei vor allem das Hamstern von Hefe erreicht. Die Firma "Danisco", die das Land mit Hefe beliefert, hat ausgerechnet, daß die fünf Millionen Einwohner des Landes seit Ende letzter Woche insgesamt drei Millionen Pakete Hefe gekauft haben. Mit dieser Menge könne man sechs Millionen Laib Weißbrot oder 60 Millionen Brötchen backen. Warum so viele Dänen auf einmal diese Unmengen backen wollen, obwohl alle privaten Bäckereien immer noch Brot verkaufen, konnten bisher weder Soziologen noch Psychologen erklären. Dafür weiß man, daß der Schwarzmarktpreis für Hefe gestern in Kopenhagen umgerechnet fünf Mark betrug. Im Supermarkt kostet Hefe normalerweise 20 Pfennig, und am Mittwoch war Schwarzmarkthefe noch für 2,50 Mark zu haben.

Jenseits des absurden Hefeproblems wurde das Leben in Dänemark jedoch inzwischen auf einigen Gebieten wirklich recht schwierig. Wenn es am Wochenende nicht zu dem erhofften Durchbruch bei den Verhandlungen kommt, müssen die meisten Kindertagesstätten schließen, weil die Putzfrauen streiken. Viele Krankenhäuser behandeln aus dem gleichen Grund nur noch Notfälle. Das Benzin ist ausverkauft - nur 26 Tankstellen werden noch beliefert und haben für Notfälle geöffnet.

Auch die deutsche Automobilindustrie könnte in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn der Arbeitskampf länger dauert. Notwendige Zulieferungen aus Dänemark, vor allem Gußteile für Kühler und Motoren, könnten dann nicht mehr transportiert werden.